Fernsehen langweilte Marcel Düe. Es frustrierte ihn, die Glotze anzuschalten, in der Hoffnung, ein Programm zu finden, das ihm einigermaßen gefällt. Wäre doch toll, dachte der 31-Jährige, wenn Fernsehen wieder ein Erlebnis werden würde. Wenn er als Zuschauer das „Was”, „Wann” und „Wo” selber bestimmen und sich Programmtipps von Freunden holen könnte. Fertig war die Geschäftsidee mit der Düe gemeinsam mit Klaus Hartl und Sven Koerbitz vor rund einem Jahr Tweek gründete.
Tweek.tv will kein eigener Online-Sender werden. Es bündelt das Angebot der kostenpflichtigen Video-On-Demand-Anbieter iTunes, Amazon VoD, Netflix, Lovefilm, Crackle und Vudu unter einem Dach und verrät, welche Filme welchen Freunden gefallen – über den Facebook-Account loggt man sich ein. So sieht der Nutzer auf Tweek.tv welche seiner digitalen Bekanntschaften „The Big Lebowski” mögen oder „Dr. House” gesehen haben und erfährt, wo er sich diese Empfehlungen zu welchem Preis anschauen kann. US-Serien werden vor ihrer deutschen Erstausstrahlung auch bei Tweek nicht zu finden sein. Düe, der seit zehn Jahren in der Berliner Internetbranche arbeitet, hält Tweek dennoch für ein Erfolgsmodell: „Ich lehne mich zurück und entdecke spannende Inhalte – zusammengestellt von Kuratoren, deren Interessen und Geschmack ich teile. Das können Freunde, Celebritys oder andere interessante Menschen sein.”
Tweek.tv befindet sich noch in der geschlossenen Beta-Phase, ein Veröffentlichungstermin steht noch nicht fest. Grund zur Eile sieht Düe nicht: „Fernsehen ist ein Gewohnheitsding. Das wird noch dauern, bis irgendwer einen Service hin bekommt, der cool genug ist, um die Menschen zum Umstieg zu bewegen.”
Sie sind weibliche Nerds. Lieben Pixel und Bytes. Flache Hierarchien und die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Wenn sie nicht vor dem Rechner sitzen, haben sie das Smartphone dabei. Auch wenn sie Deutsch sprechen, versteht man sie kaum wegen der vielen englischen Fachbegriffe. Sie arbeiten rund um die Uhr und auch am Wochenende. Berlins Startup-Gründerinnen mischen ganz vorne mit, wenn die Stadt zum neuen Silicon Valley wird.
Kerstin Knebel hat schon als Kind lieber mit dem Lego ihres Bruders gespielt. Sie ist eine der wenigen Frauen, die Programmcodes nicht nur lesen, sondern auch schreiben können. „Ich habe in fünf Firmen gearbeitet und erst eine Entwicklerkollegin gehabt”, sagt sie. Dabei bieten die neuen Medien durch den extrem günstigen Markteintritt ungeahnte Möglichkeiten für IT-Freaks. Dort gibt es jetzt noch Möglichkeiten, sich gut zu positionieren. Und Top-Verdienstchancen.
Hollywoodstar Ashton Kutcher und unzählige Investoren pumpen Millionen Euro Risikokapital in Berliner Internet-Startups. Unternehmen wie die Shopping-Plattform Casacanda, gerade erst im Juli 2011 von drei jungen Männern gegründet, werden für Millionen an US-Konkurrenten verkauft.
Julia Soergel will mit dem Hype nichts zu tun haben. Sie will keine Millionen, sondern am liebsten den Rest ihres Lebens in dem Internet-Startup Mite verbringen, das sie gemeinsam mit einem Kollegen aufgebaut hat. Soergel steht für eine Generation von Gründerinnen, die anders ticken als die männlichen Platzhirsche.
Wenn junge Männer von ihren Internetfirmen erzählen, landet das Gespräch schnell beim Thema Finanzen. Sie wollen immer neue Finanzierungsrunden und dann den Verkauf – den großen Coup. Sie gehen ins Risiko, leben lange von nichts, machen möglichst viel Wind um ihre Idee und bekommen dafür die großen Investments.
„Frauen plustern sich nicht so auf”, sagt Julia Soergel. „Sie gründen nachhaltiger, produzieren keine Blasen, sondern Werte.” Hochgelobte Männer-Startups wie Eyeem oder Readmill leben von der Hoffnung der Investoren, dass sich eine gute Idee irgendwann zu Geld machen lässt. Hop oder Top – sie wird zum nächsten Facebook oder zum Millionengrab. Das Zeitmanagement-Tool Mite von Julia Soergel oder die Web-TV-Software imuse.tv, auch von einer Frau mitgegründet, haben hingegen funktionierende kleine Unternehmen entstehen lassen. Hier gibt es keine medienträchtigen Risikokapitalspritzen und keine Pizzaschachteln, dafür den Versuch, die Zahl der Arbeitsstunden nicht gesundheitsgefährdend werden zu lassen und sich langfristig eine Zukunft zu sichern.
Die Frauen haben aufgeholt im Netz. 80 Prozent sind Mitglied einer Online-Community, aber nur 75 Prozent der Männer, so der Branchenverband Bitkom. Bereits 18,4 Prozent der Informatik-Studierenden seien weiblich, seit 2006 nehme der Anteil der Studienanfängerinnen kontinuierlich zu. In den Startups sind Frauen mit zehn Prozent vertreten, Tendenz steigend, so schätzen Szenekenner.
Immer mehr Frauen engagieren sich in Internet-Startups in Berlin. Sie finden sich vor allem in Positionen, in denen es um Kommunikation, Marketing, Kundenbindung geht. Den Programmcode schreiben meist Männer. Natürlich: Man muss keine Programmiererin sein, um ein Startup zu gründen oder darin einzusteigen. Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht der Code, sondern das Geschäftsmodell, das dahinter steht. Aber die fehlende Begeisterung der Frauen für die technische Gestaltung des Internets von morgen ist doch offensichtlich.
Anke Domscheit-Berg hat für die Unternehmensberatung McKinsey zum Thema Rollenbilder geforscht. Sie sagt: „Das fängt schon in der Spielzeugabteilung an. Links rosa Pferdchen, rechts Monster mit Mechanik und fernsteuerbare Autos. Die Frauen kriegen eingeimpft, Technik ist ein Männerding, ihr seid eher so für Pflege und dieses ganze Dienstleistungsthema zuständig.”
Im Internet gibt man sich fortschrittlich, aber diskriminiert wird nach wie vor. Auf der Webseite Hatr.org gibt es eine ganze Sammlung von frauenfeindlichen Kommentaren aus dem Netz. „So eine Kultur hält Frauen auch ab”, sagt Domscheit-Berg. Wenn man sich in einem Männerumfeld als einzige Frau bewege, müsse man oft erst einmal beweisen, dass man etwas kann. „Und da steigt natürlich die Angst, zu versagen, wenn alle so genau hingucken.”
In dieser Branche muss man als Frau ziemlich selbstbewusst sein. Für die Programmiererin Kerstin Knebel kein Problem. Sie sagt: „Das funktioniert ganz einfach: Wer mir mit einem dummen Spruch kommt, der kriegt auch einen zurück.”
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