In der Altbauwohnung, die heute das Internet-Startup Amen beherbergt, saßen einst Stasi-Mitarbeiter und belauschten die Besucher des Restaurants Ganymed direkt darunter. Heute liefern Menschen dort freiwillig ihre kritischen Meinungen ab. Zum Beispiel: „Vom S-Bahn-Fahrer angebrüllt zu werden, ist die mieseste Art, einen Tag zu starten.”
Andere Nutzer des Internet-Startups Amen bekommen diese Aussage vorgelegt und können sie mit „Amen” bestätigen oder mit „Hell, No” verneinen. In diesem Fall müssen sie einen Alternativvorschlag machen, zum Beispiel: „Sein iPhone-Display kaputt zu machen ist die mieseste Art einen Tag zu starten.” So entstehen nach und nach Hitlisten zu allen möglichen Themen, sortiert nach Anzahl der Amen, die eine Aussage bekommt.
Amen ist am 3. Oktober offiziell gestartet, 30.000 Meinungsmacher verwenden den Dienst bereits. Einer der eifrigsten ist Felix Petersen, Mitgründer und Geschäftsführer der Firma. Petersen, 35 Jahre alter Berliner mit Schnauzbart und 50er-Jahre-Brille mit Goldrand, hat zu fast allem eine Meinung. Er kennt die beste Wüste (Sahara), das beste Vierradauto (Mercedes Benz G-Klasse), den schlechtesten Drink (Wodka mit getrocknetem Skorpion), die schönste Umweltsünde (Concorde fliegen). Er äußert sich eigentlich zu allem. Mit dem Feedback anderer Nutzer werden aus solchen Einzelaussagen Listen, über 100.000 Stück bisher.
Petersen erklärt sich den Erfolg damit, dass Amen sehr nah dran sei, an der Art wie Menschen Konversation betreiben: „Es ist das natürliche Bedürfnis nach Rechthaberei. Man kann diesem
Impuls kaum wiederstehen zu sagen: Das ist doch Unsinn, oder: Stimmt!”
Dazu kommt die menschliche Leidenschaft für Listen. „Sie helfen, den Überblick in einer immer komplexeren Welt zu behalten”, sagt Petersen. Die Listen auf Amen sind oft lustig, können aber auch nützlich sein. „Gerade im Bereich Musik und Filme habe ich dadurch viele interessante Sachen kennengelernt”, sagt der Gründer. Sehr nützlich seien auch die Gastronomie-Hitlisten: bestes Sushi in Prenzlauer Berg, bester Kaffee in Mitte, beste Bar um Moscow Mule zu trinken.
Die Finanzierung der Firma ist derzeit noch durch Kapitalgeber gesichert, darunter Madonna-Manager Guy Oseary und Schauspieler Ashton Kutcher. Zwei Millionen Euro haben die bereit gestellt. Aber irgendwann muss auch Amen Geld verdienen. Petersen und seine Leute wollen dann als Werbung markierte Platzierungen in den Hitlisten verkaufen. Martin Schwarzbeck
Edial Dekker mag Pilze. Das ist noch keine Geschäftsidee, aber die Suche nach Experten, die ihm zeigen, wo er in seiner neuen Wahlheimat mehr über seine Lieblingszutat erfährt, ließ dem gelernten Koch keine Ruhe. Seit zweieinhalb Jahren lebt der 27-jährige Niederländer in Berlin, gründete hier mit seinem Bruder Floris das Designstudio „Your Neighbours” und arbeitete unter anderem für Kunden wie Etsy.com. So einen Kunst- und Handwerks-Marktplatz müsste es doch auch für Spezialisten geben, die ihre Ortskenntnisse und Fähigkeiten mit Suchenden teilen möchten, dachte Dekker also im Sommer 2011. Ein paar Wochen später waren seine bisherigen Kunden aufgegeben, Gidsy.com gemeinsam mit seinem Bruder und dem Österreicher Philipp Wassibauer gegründet und Investoren gefunden, im November ging die Seite online.
Das Modell hinter Gidsy ist einfach: Orts- und Fachkundige bieten in Führungen oder Workshops ihre Kenntnisse und ihr Können an und setzen Teilnehmerzahl und Preis selber fest. Für 5 Euro zum Beispiel führt Igor S. Berlin-Interessierte durch Coffeeshops und die Geschichte des Kaffees, für 30 Euro gibt Mira O´€™Brien einen dreistündigen Zeichenkurs; Teilnehmer können im Nachhinein transparent bewerten und kommentieren, wie es ihnen gefallen hat. Für jede Buchung kassiert Gidsy eine zehnprozentige Vermittlungsgebühr. Dass die Leute sich über Gidsy finden, dann aber privat verabreden, kann Dekker nicht ausschließen, baut aber auf den Community-Charakter. Mitmachen und anbieten kann erstmal jeder, der eine real existierende Person und keine Firma ist: „Wenn eine Aktivität aufregend ist, wird sie von den Nutzern gut bewertet, so kristallisieren sich die besonderen Ideen heraus”, hofft Dekker.
An Gidsy.com arbeiten in einem Dachgeschoss-Fabrikloft am Kottbusser Tor zurzeit sechs Mitarbeiter. Ende Januar sind es schon zehn, schließlich soll Berlin nur der Anfang sein. Portale für Amsterdam und New York gibt es bereits, San Francisco, London und eine deutschsprachige Version folgen - dank Facebook, Twitter und Co. soll Gidsy zum Selbstläufer werden: „Wir wollen der Lonely Planet 2.0 werden”, sagt Dekker über seinen Marktplatz für Aktivitäten. Er selbst habe darüber schon Kochkurse angeboten und in seiner eigenen Küche neue Freunde und Rezepte gefunden, sagt er. Auch einen Pilzexperten hat er inzwischen aufgetrieben. „Leider ist zur Zeit keine Saison”. Fabian Soethof