Wenn Florian Meissner bei einem Spiel von Hertha BSC im Olympiastadion steht, sieht er mehr als Andere. Der 26-Jährige ist einer der vier Gründer von Eyeem. Fotografiert er das Stadion, zeigt ihm sein Handy die Fotos aller anderen Eyeem-Nutzer, die sich auch dort befinden. „Dieser Perspektivenwechsel ist der Wahnsinn”, sagt Meissner. Plötzlich kann er eine Totale der Tribüne sehen, auf der er selbst steht oder den Torraum, während gerade ein Schuss fällt, von ganz nah. „Du gehst an einen Ort, machst ein Foto und wir sagen dir, was in der Nähe abgeht”, sagt Meissner. Über eine Kommentarfunktion unter den Bildern kann man sich mit den Fotografen auch gleich darüber austauschen.
Meissner, Wuschelfrisur, Drei-Tage-Bart, Casio-Digitaluhr am Handgelenk, hat BWL und Fotografie studiert und hält Handyfotos für „die Volkskunst unserer Zeit”. Im Februar haben er und seine drei Mitgründer mit der „Code-Poetry” begonnen, wie sie die Programmierung der App nennen. Wie mit der Idee einmal Geld verdient werden kann, ist noch nicht so ganz raus. Die App ist kostenlos. „Aber wir wollen zum Beispiel ein Tool schaffen, mit dem man Drucke der Fotos in Auftrag geben kann”, sagt Meissner. Die fertigen Bilder bekomme man dann zugeschickt.
Am 4. August wurde Eyeem veröffentlicht, wieviele Nutzer es bereits hat, will Meissner nicht verraten. An die angeblich über neun Millionen Nutzer des Fotosharing-Platzhirschen Instagram reicht die Zahl wohl nicht heran. Aber der Erfolg genügt, um in der Geburtsstätte von Eyeem, einer Fabriketage in einem Hinterhaus in der Brunnenstraße, inzwischen sieben Menschen zu beschäftigen. Die Männer zwischen 25 und 33 Jahren stammen aus dem Libanon, Japan, Frankreich, Polen, Österreich und Deutschland. Sie sprechen Englisch untereinander.
„Wir hätten Eeyem auch in New York oder London machen können, aber Berlin ist günstig und hier entsteht gerade etwas”, sagt Meissner. In Kreuzberg und vor allem in Mitte, rund um den Rosenthaler Platz, arbeitet eine große Community von Gründern eng vernetzt. „Da wollten wir hin”, sagt Meissner. Das bei Netzarbeitern beliebte Café Oberholz aber meidet er. Er arbeitet auch so schon mindestens zwölf Stunden am Tag, „und da will ich wenigstens in meiner Freizeit mal an etwas anderes denken”.
Seit neuestem haben sie in der Firma verabredet, dass sonntags niemand mehr ins Büro darf. Meissner kann es nicht ganz lassen und versucht sich dann zu Hause als Kurator. Er sammelt die besten Bilder der Woche aus dem Eyeem-Netzwerk und unterlegt sie mit Musik. Martin Schwarzbeck
* Delivery Hero (385 Millionen Euro)
* Kreditech (177 Millionen Euro)
* Home24 (120 Millionen Euro)
* Hellofresh (110 Millionen Euro)
* Westwing (55 Millionen)
* windeln.de (45 Millionen Euro)
* Helpling (43 Millionen Euro)
* Auctionata (42 Millionen Euro)
* Mister Spex (32 Millionen Euro)
* Jimdo (25 Millionen Euro)
* navabi (25 Millionen Euro)
* Lendico (20 Millionen)
* Outfittery (18 Millionen Euro)
* EyeEm (16 Millionen Euro)
Glaubt man Dr. Martin Burckhardt, dann wird in Tempelhof gerade die Welt revolutioniert. Burckhardt ist Programmierer, Spiele-Entwickler, Kulturtheoretiker und seit dem letzten Jahr Geschäftsführer der Ludic Philosophy GmbH. Vor allem aber ist er Philosoph. „Sie und ich, wir alle sind längst Avatare”, sagt er und spricht von Nietzsche und Elias, von Sozialprestige durch Social Games - und von seinem Sohn, dessen Computerspielverständnis Burckhardt erst auf die millionenteure Entwicklung von TwinKomplex gebracht habe. TwinKomplex ist ein kostenloses Browserspiel, das seit November 2011 online ist und seine komplexe Handlung erst in dessen Verlauf offenbart. Als Teil der sogenannten „Dezentralen Intelligenz Agentur” muss der Spieler anhand von Hinweisen aus dem Off, aus dem Netz und von anderen Nutzern auf einer Google Maps-Satelliten-Oberfläche Rätsel lösen, anfangs etwa das mysteriöse Verschwinden einer Frau in Berlin. Ein virtuelles Labor, Mock-Homepages im Netz, Regieanweisungen von Strohmännern und Videoschnipsel von Berliner Orten sollen dabei helfen und davon ablenken.
TwinKomplex soll Realität und Fiktion endgültig vereinen. Der Fortschritt des Spiels steht und fällt mit der Teamarbeit mit anderen Usern, den Agenten - und hakt in den ersten etwas holprigen Monaten noch an der notwendigen Partizipation der ersten Angemeldeten. Ein kurzweiliger Spielspaß ist TwinKomplex ohnehin nicht - laut Drehbuch sind die Geschichte und ihre Missionen auf mehrere Jahre angelegt. Mit Schauspielern wie Anne Ratte-Polle (s. auch S. 82) und Robert de Niros Synchronsprecher Christian Brückner drehte Burckhardt im Tempelhofer Flughafengebäude, wo er und seine Programmierer, Autoren und Requisiteure auch arbeiten. Die ersten fünf Monate programmierte Burckhardt Nacht für Nacht allein, bis ihm sein „Living Novel” selbst zu groß wurde. Die Kosten der Produktion übernimmt bisher ein Hamburger Privatinvestor. Langfristig finanzieren will und muss sich TwinKomplex durch den Erwerb von virtueller Währung und Gütern sowie durch Product Placement. Den Schritt zur Revolution haben Burckhardt und sein Team bereits getan: Die selbsterschaffene lernfähige Künstliche Intelligenz namens HAL9001 soll „die Welt der Games von der Einengung einer Geschichte durch Entscheidungsbäume befreien”, lassen sie verlautbaren.